Solothurner Organistin spielt in Rom für Gardisten und Papst
«Ich bin schon richtig aufgeregt, wenn ich an meinen Auftritt im Petersdom denke»
Nadia Bacchetta ist in Grenchen aufgewachsen und heute in Oberdorf zu Hause. | ![]() |
Als freischaffende Konzertorganistin und Organistin an der Stadtkirche Solothurn schlägt sie immer wieder mal kreative Wege ein. Ein Gespräch mit Nadia Bacchetta, die in Grenchen aufgewachsen und heute in Oberdorf zu Hause ist. Im Mai folgt der Ritterschlag mit der Einladung, als Organistin an einer speziellen Papstmesse im Petersdom in Rom zu spielen.
Nadia Bacchetta, wie reagieren Menschen, die Sie neu kennenlernen, auf Ihren Beruf? Erstaunt. Weil sie sich darunter keinen Brotjob vorstellen können. In vielen Köpfen herrscht nach wie vor das Bild, wonach ein Organist ein älterer Mann ist, der an der Kirchenorgel sitzt und spielt. Und viele fragen mich auch, wie man diesen Beruf erlernen kann. Wie wird man denn heute Organistin? Wie jedes andere Musikinstrument kann man es an einer Musikhochschule studieren. Ich habe 7 Jahre an der Hochschule für Künste in Bern studiert und dabei einen Bachelor- und Masterabschluss erlangt. Für den «Specialized Master» habe ich ein Austauschjahr in Schweden verbracht. Muss man vorgängig bereits das Klavierspiel beherrschen? Nicht unbedingt. Aber für gewisse Orgelliteratur ist eine pianistische Technik sehr wichtig. Ich habe als Kind zunächst Klavier gespielt und bin dann beruflich auf die Orgel umgeschwenkt. Auch wenn sich die beiden Instrumente ähneln, funktionieren sie doch sehr unterschiedlich und benötigen je eine andere Spieltechnik. An der Orgel öffnet man etwa ein Ventil und schlägt keine Saite an wie beim Klavier. Persönlich stelle ich mir das Erlernen des Orgelspiels schwierig vor. Die Spieltische von grossen Orgeln sehen wirklich superkompliziert aus. Da gibt es mehrere Klaviaturen, Pedale, Hunderte von Knöpfen und Hebeln für Hände und Füsse. Man kann es mit dem Autofahren vergleichen: Am Anfang hat man Mühe, gleichzeitig korrekt zu schalten, Gaspedal und Kupplung zu bedienen und das Fahrzeug zu lenken. Mit der Zeit automatisiert sich dies im Kopf und es läuft. Orgel spielen ist nicht schwieriger als ein anderes Instrument zu beherrschen. Die Noten sehen etwas komplexer aus, denn man muss drei Systeme – zwei für die Hände und eines für die Füsse – gleichzeitig lesen. Warum haben Sie umgeschwenkt von Klavier auf Orgel? Ich war als Kind schüchtern und deshalb als junge Erwachsene dankbar, dass ich mich hinter der Orgel quasi verstecken konnte. Man muss auch nicht vor einem Publikum hinstehen, wie es ein Geigenspieler etwa macht. Mittlerweile, als 45-Jährige, fühle ich mich manchmal zu weit weg vom Publikum und etwas einsam auf der Empore und freue mich immer, wenn da oben noch andere Menschen mit mir musizieren. War für Sie früh klar, dass Ihr beruflicher Weg in die Musikwelt führt? Nein. Mir wurde von meinem Umfeld vom Musikstudium abgeraten. Zu brotlos und unsicher seien die Zukunftsperspektiven. So begann ich an der Uni Bern Geschichte und Politologie zu studieren. Aber ich vermisste die Musik schmerzhaft nach einer Weile und entschied mich mit 24 Jahren zur Aufnahmeprüfung an der Hochschule der Künste anzutreten. Diese Entscheidung war goldrichtig, denn ich kann mir heute keinen schöneren Beruf vorstellen. Stammen Sie aus einer musikalischen Familie? Alle sind musikalisch, doch das starke Interesse habe ich sicher von meinem Nonno, dem Grossvater, der sich das Akkordeonspiel selbst beigebracht hat, geerbt. Ich spielte als Kind Klavier und war in meiner Jugend in verschiedenen Brass Bands als Schlagzeugerin unterwegs. Während meiner Zeit an der Kanti, wo ich beim damaligen Domorganisten Bruno Eberhard Orgelunterricht genoss, durfte ich in den Messen im Kapuzinerkloster mitspielen und bekam jeweils sogar ein kleines Honorar dafür. Lässt es sich als Organistin finanziell gut leben? Ja. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich von der Musik leben kann. Mit der Teilzeit-Anstellung in der Reformierten Kirchgemeinde Solothurn als Organistin an der Stadtkirche und meiner freischaffenden Tätigkeit als Konzertorganistin. Welches Ziel verfolgen Sie als Organistin? Dass meine Musik die Menschen berührt und zum jeweiligen Anlass wie Trauerfeier, Hochzeit, Taufe oder Gottesdienst passt. Und weil ich ein riesiger Orgelfan bin, möchte ich dem Publikum in den Konzerten zeigen, wie cool und vielfältig dieses Instrument ist. Seit einigen Jahren beschäftige ich mich intensiver mit Filmmusik, Jazz und Pop und spiele dann eigene Arrangements davon. Das Publikum mit diesen vielleicht eher ungewohnten Orgelklängen zu überraschen, macht Spass. Wie am letztjährigen Muttertagskonzert, an dem Sie unter anderem Heavy Metal interpretierten. Genau. Zwar liebe ich klassische Musik aller Epochen, aber ich bediene auch gerne die Genres der sogenannten Unterhaltungsmusik. Die Abwechslung macht es für mich aus. An einem Morning-Booster-Anlass mittwochs um 7.45 Uhr in der Stadtkirche, zu dem regelmässig etwa 20 Personen vor ihrer Arbeit kommen, spiele ich fast ausschliesslich meditative Sounds, hingegen bei den Gottesdiensten versuche ich ein breites Spektrum der Musikgeschichte aufzuzeigen. Sie sind zur Vereidigung der Schweizer Gardisten eingeladen, im Rahmen der Papstmesse im Petersdom an der Orgel zu spielen - sind Sie aufgeregt? Ja, zusammen mit meinem Kollegen Sven Angelo Mindeci aus dem Aargau, einem Akkordeonisten. Das ist eine riesengrosse Ehre. Wir wurden nach einer Interpretation eines argentinischen Tangos angesprochen und eingeladen. Ob es damit zusammenhängt, dass der Papst Argentinier ist? Ich weiss es nicht. Ich freue mich einfach und bin ehrlich gesagt schon wahnsinnig nervös, wenn ich an unsere Auftritte am 4. und 5. Mai vor bis zu 3000 Menschen in Rom denke. Und bezogen auf die Stadtkirche, welche speziellen Ideen gibt es hier? Zusammen mit der Pfarrerin Tanja Grünig bieten wir dieses Jahr zum ersten Mal Kulturelle Kirchen(turm)führungen an, am 12. Mai und 16. Juni. Dabei werde ich den Besucher:innen auch die Orgel vorstellen und sogar Einblicke ins Innere der Orgel ermöglichen. Erwähnenswert ist sicher auch das Konzert am Muttertag, an dem mein Duopartner Sven und ich die Stücke aus den Auftritten von Rom aufführen. Wie muss ich mir Ihren Alltag vorstellen? Der Sonntagmorgen mit dem Einsatz im Gottesdienst ist fix. Ansonsten kann ich mir vieles selber einteilen, das schätze ich sehr. Ich übe fast täglich, vor Konzerten sehr intensiv. Daneben gibt es immer wieder Kausalien, so nennt man Anlässe wie Taufen, Hochzeiten und Abdankungen. Einmal die Woche führe ich seit letzten Herbst ein «Singe mit de Chliine» durch, und kulturell gibt es immer wieder spannende Anlässe in Zusammenarbeit mit Pfarrerin Tanja Grünig. Wie ist Ihr persönlicher Bezug zur Kirche? Kirche ist seit vielen Jahren mein täglicher Arbeitsort. Es ist schon speziell in einem öffentlichen Gebäude zu üben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich während meiner Ausbildung am Berner Münster üben durfte. Da sind ja immer haufenweise Tourist:innen und ich habe mich für meine falschen Töne derart geschämt, dass ich anfänglich nur ganz leise geübt habe. Ich habe mich dabei selber kaum gehört. Dieses blöde Gefühl, dass keine Fehler passieren dürfen, habe ich dann zum Glück überwinden können. Wie oder worin finden Sie den Ausgleich zu Ihrem Job? Mit meiner Familie. Unsere Kinder sind siebeneinhalb und sechs Jahre alt. Das ist ein superschönes Alter für alles mögliche an gemeinsamen Aktivitäten. Gerne würde ich mehr von der Kulturszene in Solothurn geniessen, doch momentan bleibt dafür noch zu wenig Zeit. Welche Träume haben Sie noch in Ihrem Leben? Am grössten Traum bin ich dran. Ich möchte meine eigene Musik an dieser unter Denkmalschutz stehenden Kuhn-Orgel der Stadtkirche Solothurn präsentieren. Nun habe ich einen befreundeten Jazzmusiker zur Zusammenarbeit angefragt. Vielleicht wird dieser Traum in zwei Jahren zum 100-Jahr-Jubiläum der Stadtkirche Wirklichkeit. Interview: Edith Loosli-Bussard